Schandmaul gastieren am 27. Oktober im Capitol Hannover. Support: Krayenzeit
Wann? Donnerstag, 27. Oktober 2016
Wo? Capitol Hannover
Einlass: 19:00 | Beginn: 19:45 Uhr
Tickets: 40€
Johanna von Orleans war 17, als sie die Truppen des Dauphin zum Sieg gegen England und Burgund führte. Vorwegreitend und von einem Pfeil getroffen, wurde Jeanne D‘Arc zu einem Leuchtfeuer der Franzosen. Noch fast 600 Jahre später ertüchtigt die Heldinnentat die Gruppe Schandmaul zu einer gewaltigen Hymne: „Orleans“. Wie ein Heer lässt die Band 110 Instrumente im Eröffnungsstück ihres neunten Studioalbums „Leuchtfeuer“ losschlagen. Zwei Jahre nach ihrem mit Gold dekorierten Chartalbum „Unendlich“ und ausverkauften Tourneen setzen die glorreichen Sechs mit Hörnern, Posaunen, Trompeten und mehr als einem ganzen Streichorchester voll mitreißendem Übermut und voller Entschlossenheit nach.
Schandmaul sind jetzt 18 Jahre alt. Die Spielmänner und -frauen sind Stück für Stück gewachsen. Und auch wenn sich der Markt gerade ihren Künsten entgegenzustrecken scheint, mit dem Folkrock-Hype von Bands wie Mumford & Sons und modernem Fantasy-Kult wie Game Of Thrones, haben Schandmaul doch längst auf eigene Faust die Welt erobert: Auf Hunderten Konzerten mit bis zu zehntausend Gästen. Und auf ihrem eigenen Funkenflug-Festival in München ebenso wie beim Metal-Open-Air in Wacken und den großen Gothic- oder Mittelalter-Treffen weit und breit.
Schandmaul haben über die Jahre zahlreiche Freunde im Kollegenkreis gewonnen. Nicht zuletzt ihre alten Weggefährten umarmen sie mit dem Stück „Freunde“, im Tanz zwischen irischer Geselligkeit und punkiger Lebenslust. Auch das ist ein Leuchtfeuer: Ein Ort, zu dem alle strömen, um sich behaglich zu wärmen. Diesmal singt die Melodic-Metal-Königin Tarja Turunen (auf Deutsch mit charmantem finnischen Akzent) mit Thomas Lindner das berührende Duett eines Ehepaares, das sich über die Jahre verloren hat: „Zu zweit allein“.
Ihr Spektrum ist so weit wie nie: Folkrock zum Tanzen, Balladen zum Umarmen, Instrumentals zum Schwärmen, Liedermacherkunst wie vom Meister Reinhard Mey, den der Bariton-Crooner Lindner überaus schätzt. Jeder hat an seinen Arbeitsgeräten noch einmal eine Schippe drauf gelegt. Die Saitenmagierin Anna Kränzlein spielt – Schicht für Schicht – ein ganzes Orchester ein. Birgit Muggenthaler lässt in ihrer Parade an Flöten und Pfeifen erstmals die Uilleann Pipes vorwegmarschieren. Jenen mit dem Ellbogen aufzupumpenden, schwer zu meisternden Dudelsack, der Filmen wie Braveheart den unverwechselbar tragenden Klang der Sehnsucht verleiht, und nun auch dem Stück „Zeit“. Martin Duckstein setzt nun verstärkt auf den Cister, die edle Gitarre des Mittelalters mit ihrem warmen, prägnanten Ton. Mit harten E-Gitarren-Riffs attackiert er nur noch selten, nur da, wo es nötig ist, bei Partykrachern wie „König“ etwa. Und auch Matthias Richter lässt statt des druckvollen Strom-Basses gerne mal den Kontrabass brummen.
„Tjark Evers“ war zuerst eine Rocknummer, wie die Fans in einer Demo-Version auf einer der beiden Limited Editions von Leuchtfeuer hören können. Doch dann nahm im Probenraum die Geschichte dahinter das Ruder in die Hand: Das Stück handelt von einem Navigationsschüler, der sich 1866 am Abend vor Weihnachten vom Festland zu seinem Elternhaus auf der Insel Baltrum rudern ließ. Es war so neblig, dass die Ruderer ihn auf einer Sandbank absetzten. Bei drei Grad kaltem Wasser und auflaufender Flut war sich der Junge seines nahen Todes bewusst und schrieb einen bedrückenden Abschiedsbrief, den die Band im Heimatmuseum an der Nordseeküste entdeckt hat. Deswegen warfen sie allen Ballast über Bord, nur ein Cello, ein Piano und Lindners Stimme begleiten einen durch die letzten Gedanken des Todgeweihten. Solcher Stoff ist es, der die Texter der Band lockt. Die Sagen von der Loreley oder Jack O‘ Lantern, dem wir die Halloween-Leuchten verdanken, aber auch die wahren Schicksale der Jungfrau von Orleans oder dem Schachermüller-Hiasl aus dem Sulzemoos. Besser bekannt als der Räuber Kneissl wurde der Rebell zum bayerischen Volkshelden.
Dabei hat Lindner genug Phantasie für eigene große Geschichten mit Tiefgang. Das orientalisch gefärbte Stück „Schwarze Perle“ könnte man als tragische Liebesgeschichte am Meeresufer verstehen. Dahinter steckt aber die Solidaritätsbekundung der Band mit den Flüchtlingen vom afrikanischen Kontinent. Nach „Bunt und nicht braun“ vor drei Jahren gibt die Gruppe damit ein weiteres persönliches Statement für eine offene Willkommenskultur ab. Alles ist hier höchst persönlich. Nicht zuletzt die Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit. Darüber werden die Schandmäuler aber nicht wehleidig, sie kosten sie in „Ich werde alt“ augenzwinkernd mit den Fans aus. Und doch sind die stärksten Momente von „Leuchtfeuer“ die ernsthaften. Die Zeit verrinnt. Aber wenn das so geschieht, wie in im Opus magnum „Zeit“, ist das ein Gewinn. An Erkenntnis. An Tiefe.
V.i.S.d.P.
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