Von jüdischen Robotern, armlosen Cowboys und Killer-Golems

2. Obscura Filmfest Hannover zeigte Filme mit Kult, Komik und Kotztüten

Drei Tage, Zehn Filme, 20 Kurzfilme, darunter viele Europa-oder Deutschland-Premieren, Anwesenheit von Schauspielern und Filmemachern, zwei Veranstaltungsorte, Blu-Rays, Film-Magazine, Kotztüten und Gutscheine als Give-Aways. Und das alles für nur 45€, wenn man eine Dauerkarte erwarb. Klingt wie ein gutes Angebot? War es auch. Es ist nur extrem schade, dass das 2. Obscura Filmfest vom 11.-13. April 2018 in Hannover quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Warum dies der Fall war und welche Möglichkeiten es gibt, zukünftig mehr Cineasten anzulocken, darüber wird am Ende des Artikels spekuliert, denn ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass es in einer Stadt wie Hannover mit einer halben Million Einwohnern plus einem großen Einzugsgebiet genügend Fans des fantastischen Films (dazu zählen Genres wie Grusel/Horror/Splatter/Science Fiction/Fantasy/Action/Martial Arts, etc.), gibt, um mehr als nur einen kleinen Kinosaal zu füllen. Zunächst einmal aber eine kleine Zusammenfassung des diesjährigen Programms.

Eröffnet wurde das Obscura Filmfest am Mittwochabend im Medienhaus Hannover am Schwarzen Bär mit dem Film „Diversion End“, einem polnischen Werk, welches in englischer Sprache gedreht wurde und ein wenig wie eine Low Budget-Version eines Quentin Tarantino Films wirkte. Die Bezeichnung von „Diversion End“ als Werk und nicht als Film liegt darin begründet, dass es sich hierbei um eine Webserie handelt, deren einzelne Episoden zu diesem Werk zusammengeschnitten wurden. Dies merkte man dem Neon Noir Pulp Krimi auch an, denn „Diversion End“ fühlte sich strukturmäßig nicht wie ein Film an. Kameraarbeit und Schauspielerleistung waren gut, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass man im Independent-Bereich eben nicht das Budget eines durchschnittlichen Hollywood-Blockbusters zur Verfügung hat, sondern das geringe Budget mit viel Herzblut und Enthusiasmus wettmachen muss.

Nach dem Eröffnungsfilm waren die „Fantastic Shorts“ dran, eine Sammlung von 15 Kurzfilmen aus aller Welt. Dieser Programmpunkt war auch gleichzeitig Publikumsmagnet, denn zu den Kurzfilmen füllte sich der kleine Saal im Medienhaus, in den ohnehin höchstens 50 Leute reinpassen. Die Kurzfilme waren dann auch genau die Wundertüte, wie man sie vom Fantasy Filmfest und anderen Filmfesten kennt und erwartet. Manche witzig, manche überraschend, manche blutig, manche subtil, aber alle kreativ. Mit Liz Farahadi, der Autorin und Schauspielerin des britischen Kurzfilms „Love and other Stuff“, war sogar jemand vor Ort, der sich den Fragen der Kinobesucher stellte und aus dem Nähkästchen plauderte, wie lange es von der ersten Idee bis zum fertigen Film gedauert hat. Ihr Film hatte zwar den typisch britischen Humor, aber der Lieblingsfilm des Publikums stand bereits fest, bevor alle Kurzfilme gezeigt wurden. „Death Metal“ war hinsichtlich der Verbindung Splatter und Humor vergleichbar mit dem Kultkurzfilm „Staplerfahrer Klaus“, entsprechend war klar, dass die anderen Filme keine Chance hatten, bei der Publikumsgunst auf Platz 1 zu landen, trotz Anwesenheitsbonus von „Love and Other Stuff“-Akteurin. Neben diesen beiden Filmen waren aber auch die anderen Beiträge sehenswert und es gab kaum Nieten. Wobei selbst eine Kurzfilmniete immerhin noch den Vorteil gehabt hätte, kurz zu sein und damit das Gesamtpaket nicht zu stören.

Der dritte und letzte Film des ersten Abends war eine auf Englisch gedrehte Deutsche Produktion. „Paranormal Demons“ war ein Found Footage-Film. Da ich persönlich mit Found Footage Filmen überhaupt nichts anfangen kann und mich schon immer über den Erfolg von Filmen wie „Blair Witch Project“ und der „Paranormal Activity“-Reihe gewundert habe, kann ich dazu leider keine faire Rezension abliefern, da der Film bei mir schon verloren hatte, bevor der erste Frame auf der Leinwand erschien. Für mich zog sich der Film wie Kaugummi, die 96 Minuten Laufzeit fühlten sich für mich doppelt so lang an. Der einzige Charakter, der mir sympathisch war, war der Moloch, der Killer-Golem, der die filmenden Studenten dezimierte. Der Kurzfilm „Alp“, der vom gleichen Filmteam stammt, und vor dem Hauptfilm lief, gefiel mir wesentlich besser und demonstrierte, dass die Filmemacher, die übrigens mitsamt Moloch-Darsteller in voller Montur ebenfalls vor Ort waren, Talent haben. Außerdem darf nicht unerwähnt bleiben, dass sie für „Paranormal Demons“ praktisch kein Budget hatten, denn ca. 10.000€ ist auch für einen Found Footage Film heutzutage extrem wenig.

Der erste Tag des Obscura Filmfests endete für mich persönlich zwar mit einer Niete, aber das gehört eben auch zum Reiz eines Filmfestivals, dieses „Life is like a box of chocolates – you never know what you’ll get“-Gefühl, das Experimentelle, Guerilla-Filmemachen in Reinkultur. Der zweite Tag hatte mit drei Filmen und drei Kurzfilmen, die jeweils davor gezeigt wurden, wieder einiges zu bieten. Den Anfang machte „Lasso“, eine US-Produktion, in welcher ein Seniorenausflug zu einer Rodeoshow ein böses Ende nimmt, als die Rodeoveranstalter sich als eine kaltblütige Killertruppe entpuppen. Was leicht zur x-ten Slasher-Variante hätte werden kommen, hebte sich durch interessante Charaktere auf beiden Seiten und innovative Todesarten wohltuend von der Konkurrenz ab. Vom einarmigen Cowboyhelden, der im Verlauf zum armlosen Cowboyhelden wird, über die toughe Seniorin bis hin zur schwarzen Bodybuilderin war alles vertreten. Dass der Hauptcharakter zu Beginn ein feiges Weichei ist, der erst gegen Ende des Films heldenhaft wird, zeigt auch hier eine klare Charakterentwicklung. Die Mischung aus Humor und Spannung stimmte hier einfach. Natürlich sah man auch diesem Film an, dass es keine teure Hollywood-Produktion war, aber wenn man sich gut unterhalten fühlt, ist man auch viel eher bereit, über manches hinweg zu sehen.

Der zweite Film, „Dead Shack“ aus Kanada, spielte ebenfalls gekonnt mit klassischen Horrorfilm-Klischees. Ein Vater fährt mit seinen beiden Teenager-Kindern und dem besten Freund des Sohnes, welcher auf die Tochter steht, in eine abgelegene Waldhütte, wo sie auf eine durchgeknallte Killer-Mutter und ihren „Nachwuchs“ treffen. Der Film lebt von seinem Humor und der Chemie zwischen den drei Teenagern, die mit vielen Sprüchen und einfallsreichen Verteidigungsmaßnahmen die Herzen der Zuschauer für sich gewinnen. Es war allerdings schade, dass der Vater nur so wenige Szenen im Film hatte. Insgesamt eine sehenswerte Horror-Komödie, die beim bierseligen DVD-Abend mit Freunden sicher am meisten Spaß macht.

Den Abschluss machte mit „Talon Falls“ ein Folter-Horrorfilm, in welchem eine Gruppe Teenager in einen Horror-Freizeitpark gehen und feststellen, dass die Folterszenen, die die Gäste erschrecken, nicht animatronisch oder sonstwie gefaked sind, sondern deshalb so real wirken, weil die Betreiber des Parks echte Menschen kidnappen und als Folteropfer benutzen. Damit hat der Film auch so etwas wie eine relevante Aussage über den inhärenten Voyeurismus unserer Konsumgesellschaft, wie sie seinerzeit schon „Running Man“ gekonnt überspitzt ausgedrückt hat. Somit waren die drei Langfilme am Donnerstag allesamt aus den unterschiedlichsten Gründen sehenswert. Die drei Kurzfilme waren recht Splatter- und Gore-lastig, wobei mir „Trans*“ am besten gefiel. „The Defiler“ aus Finnland war völlig over the top, aber visuell interessant und der asiatische „Mukuro – just lika a mother“ könnte auch als Folter-Horror bezeichnet werden. Für einen Kurzfilm war die Szene, in der die festgekettete Mutter sich dadurch von ihrer Handschelle befreien wollte, indem sie die Knochen ihrer Hand derart zertrümmert, dass sie sie herausziehen kann, etwas zu lang und wurde zu sehr ausgekostet. Es ist sehr schade, dass am Donnerstag nur sehr wenige Besucher da waren, denn die Daheimgebliebenen hatten eindeutig etwas verpasst. Da an diesem Donnerstag die Öffis gestreikt haben, gab es aber zumindest einen Grund für die Besucherflaute.

Am dritten und letzten Tag verlegte das Obscura Filmfest das Geschehen vom Medienhaus Hannover in ein richtiges Kino, dem Utopia Langenhagen, welches inzwischen scheinbar Cinemotion heißt. Die letzten vier Filme des Festivals hätten vom Genre her nicht abwechslungsreicher sein können. Lust auf Martial Arts Action mit Matrix-Anleihen? Dafür war „Kill Order“ der richtige Film. Oder doch lieber eine nerdige Science Fiction Komödie, oder wie der Regisseur sagte „Der erste israelische Science Fiction Film!“? „OMG! – I’m A Robot“ machte einfach Spaß. Man durfte zwar nicht wirklich über die Story nachdenken, aber die Charaktere versprühten Charme und Witz. Der Film hatte einen fast schon anarchischen Humor und stand damit im krassen Gegensatz zu dem chilenischen Film „Trauma“ der als nächstes auf dem Programm stand und vier Frauen kompromisslos durch die Hölle schickte. Humor war hier nicht zu finden, der wäre auch fehl am Platze gewesen, so beklemmend wie manche Szenen waren. Den letzten Beitrag des Filmfestes bildete mit „First House On the Hill“ ein amerikanischer Horrorthriller, der im Stile der Giallo-Horrorfilme aus den 70ern gedreht wurde. Diesen Giallo-Flair haben die Filmemacher visuell zwar gut getroffen, jedoch meine ich, dass die Vorbilder von Dario Argento & Co. storytechnisch besser waren. Damit endete das 2. Obscura Filmfest in Hannover. Zwischen den Filmen hatte man an allen drei Tagen die Möglichkeit, eine Blu-Ray oder einen 10€ Gutschein für den Comicladen Comix zu erhalten und sich mit Gästen und Veranstalter David Ghane über die Filme zu unterhalten. Kurzum, vom Preis/Leistungsverhältnis, dem abwechslungsreichen Filmangebot und dem ganzen Drumherum war es eine absolut gelungene Veranstaltung, die mehr Publikum verdient gehabt hätte. Zeit, sich mit der Frage zu beschäftigen, warum dieses nicht erschienen ist. Der Öffi-Streik am Donnerstag mag den Donnerstag erklären, aber nicht alle drei Tage. Und wie eingangs geschrieben, bin ich der festen Überzeugung, dass die Region Hannover über ausreichend Filmfans verfügt, um das Medienhaus und einen Saal im Cinemotion zu füllen. Bester Beweis dafür ist das eine Jahr, in welchem das Fantasy Filmfest (FFF) Hannover als Standort ausprobiert hat. Die Veranstalter waren mit den Zahlen zwar nicht zufrieden und sind Hannover künftig wieder ferngeblieben, jedoch ist das FFF hier in DE der Platzhirsch unter den Genrefilm-Festivals und hat mit wesentlich größerem Filmprogramm, bei dem zwei Filme gleichzeitig in zwei Sälen laufen, auch ganz andere Maßstäbe. Wenn nur ein Teil der Zuschauer, die beim FFF in Hannover anwesend waren, auch zum Obscura käme, wäre das Medienhaus deutlich zu klein. Oder anders gesagt: Was zuschauertechnisch für das FFF ein Flop war, wäre fürs Obscura ein Riesenerfolg.

Die Frage ist, wie erreicht und aktiviert man diese Zuschauer? Ein Werbebudget hat das Obscura Filmfest als kleines Untergrundfestival nicht, da es praktisch eine Ein-Mann-Organisation in Form von David Ghane ist. Dafür ist er aber sehr engagiert. Flyer, Plakate, Artikel in einschlägigen und regionalen Medien gab es im Vorfeld, ebenso eine Webseite sowie aktive Social Media-Präsenz auf Facebook. Dennoch hat es offensichtlich nicht gelangt, um jeden potenziellen Besucher zu informieren. Denn im Nachgang des Obscura Filmfests habe ich mit mehreren Leuten im Bekanntenkreis gesprochen, von denen ich mir sicher war, dass es sie interessiert hätte. Ergebnis: Einer wusste davon, konnte aber nicht, weil er abends arbeiten musste, die anderen fünf wussten nicht einmal, dass die Veranstaltung existiert, wären aber gekommen, wenn sie rechtzeitig davon gewusst hätten. Sind allein von mir schon einmal sechs potenzielle Besucher für 2019. Wenn die anderen Besucher in ihren Bekanntenkreisen ebenfalls die Werbetrommel rühren, könnte allein die Mundpropaganda zu mehr Besuchern führen. Ich selbst habe auch nur dadurch, dass mir zufällig ein Flyer in die Hände fiel, vom Obscura Filmfest erfahren. Also, liebe Hannoveraner, wenn ihr nicht wollt, dass nach dem FFF nun das nächste Filmfest künftig nicht mehr in Hannover gastiert, verbreitet die Kunde davon in der ganzen Region, wenn Filmfans andere Filmfans im Bekanntenkreis rechtzeitig informieren, sollte es doch wohl möglich sein, dass die dritte Ausgabe des Obscura Filmfestes in Hannover 2019 auch hinsichtlich der Besucherzahl zu einem Erfolg wird. Gerade diese kleinen, unabhängigen Filmfeste werden mit viel Herzblut gemacht und haben jede Unterstützung verdient, auch wenn nicht jeder Film ein Volltreffer sein kann.

Text: Steve Palaser

Weiterführende Links:

Obscura Filmfest

Medienhaus Hannover

Cinemotion

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Über Steve

Steve Palaser ist Freier Journalist & Übersetzer DE - EN, EN - DE Mehr Info unter dem Button "Unser Team" oder bei Google - da er zumindest deutschlandweit der Einzige mit diesem Namen ist! Ein echtes Unikat!

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